Ach, Österreich! : Europäische Lektionen aus der Alpenrepublik

Thurnher, Armin, 2016
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Medienart Buch
ISBN 978-3-552-05830-9
Verfasser Thurnher, Armin Wikipedia
Systematik GP - Politik, Polit.Bildung, Medien, Kultur
Schlagworte Österreich, Politik, Parteien, Faschismus, Rechtsextremismus, Wahlen, Skandale
Verlag Zsolnay
Ort Wien
Jahr 2016
Umfang S. 170
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Armin Thurnher
Annotation Quelle: Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen (http://www.jungk-bibliothek.at/);
Österreich ist ein Land, so der Publizist und Falter-Herausgeber Armin Thurnher, in dem sich die Probleme der Welt brennpunktartig wiederfinden. Der Aufstieg der extremen Rechten, der hausgemachten gewinnenden Faschisten, verläuft in keinem europäischen Land so nachhaltig, so ausdauernd, so bizarr und scheinbar unaufhaltsam wie hier. (S. 8f.) Aber der Autor verbreitet nicht nur Weltuntergangsstimmung. Witzig, ernst und zum Teil ironisch zeigt er mit dem Finger auf Wunden des an sich noch gesunden Körpers, genannt Österreich: Zweiklassenmedizin, zerstörte Universitäten, privilegierte Eliten, die sich weit öffnende Einkommensschere. Zornig erinnert Thurnher daran, dass in Österreich bei der ersten Bundespräsidenten-Stichwahl beinahe fünfzig Prozent den Kandidaten der FPÖ gewählt hat. Österreich gilt dem Autor als kleines Muster des großen Nachbarn Deutschland (S. 9), in dem der eigene Blick durch Selbstimmunisierung getrübt sei, was ihn veranlasst, sich mit der Dialektik von Fremd- und Selbstwahrnehmung zu beschäftigen. Gekonnt räsoniert er auch über die Begriffe Vereinigungen und Spaltungen. Dass Spaltungen in einem Zeitalter der Vereinigung, des Zusammenwachsens der Welt, der übernationalen Verbände zu einer Einheit mit einer Weltregierung oder einem Weltverband besonders auffallen, versteht sich. (S. 13)
Über die Europäische Union verliert Thurnher kaum ein gutes Wort. Er kritisiert das Scheitern der supranationalen Exekutivdemokratie drastisch: In der ostentativen Unterdrückung des griechischen Volkswillens und im Diktat eines Sparkurses wider jede ökonomische Vernunft funktionierte er; bei der Verteilung von Flüchtlingskontingenten versagt er. (S. 158) Seiner Ansicht nach werden die Migrationsbewegungen nicht abreißen und leider werden wir auch nicht in den Blick bekommen, dass der Westen selbst teilweise die Ursachen schafft, mit deren Wirkungen er nicht fertig wird: Kriege und Bürgerkriege. (S. 159f.) Als das fatalste Ergebnis der Krise für Europa (und natürlich auch für Österreich) erachtet Thurnher, dass menschenrechtliche Standards gegenüber egoistischen Interessen zurücktreten (S. 160). Nachvollziehbar arbeitet er einen Zusammenhang zwischen der Krise der EU und dem Nationalismus der Unzufriedenen mit dem drohenden Abstieg des Mittelstands und der Arbeiterklasse heraus. Die EU kassiert die Rechnung für ihre politische Ausrichtung auf den gemeinsamen Markt und auf ein gemeinsames Finanzregime, das die Idee einer Sozialunion in den 1990er Jahren unter ihren Maastricht-Kriterien begrub. (S. 167) Was den Aufstieg rechter, autoritärer, nationalistischer Bewegungen und Regimes betrifft, erinnert Thurnher an unsere Situation unter anderen kommunikativen Voraussetzungen, ohne Massenelend im Westen in den 1920er und 1930er Jahren.
Was wäre zu tun? Nach dem Ende der Erfolgsgeschichte des neoliberalen Modells braucht es Ideen. Eine findet Thurnher in der Gemeinwohlökonomie Christian Felbers. Ein weiteres Modell wäre die österreichische Sozialpartnerschaft, die aktualisiert werden könnte. So könnte ein institutionalisierter, kompromissbereiter Dialog zwischen Arbeit und Kapital, zwischen Schuldnern und Gläubigern auf europäischer Ebene mit mehr Öffentlichkeit Platz finden. Höchst an der Zeit wäre es auch, Steuerschlupflöcher ein für allemal zu schließen, den Wachstumszwang auszusetzen und zu versuchen, Märkte wieder sozial zu ordnen (S. 169f.). Zur Weltrettung braucht es nach Meinung Thurnhers nicht viel: die Entmachtung des neoliberalen Denkkollektivs, eine Wiedereinführung der Universität im Sinne Wilhelm v. Humboldts, die Neuerfindung von Sozialismus und Kapitalismus, die Neuordnung von Interessenvertretungen, ein öffentlich-rechtliches Internet, eine gerechte Besteuerung der US-Medienkonzerne, ganz andere Schulen und die Rekonstruktion der Öffentlichkeit. Diese Aufzählung klingt einfach, ist es aber nicht. Europa könnte aber von diesen Lektionen aus der Alpenrepublik durchaus Anregungen für Reformvorhaben entnehmen. Vergnüglich zu lesen sind sie allemal. Alfred Auer

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Quelle: Pool Feuilleton;
Eher gehen einem bei Österreich die Seufzer aus, als dass einem der Stoff ausginge. Eines muss man Österreich nämlich lassen, es liefert literarischen Stoff wie kaum ein anderes Land auf der Welt.
Armin Thurnher zwinkert bei jedem Österreich Buch mit den Augen und hofft, dass es das letzte Buch gewesen ist, doch dann bricht etwas aus, wie die Unmöglichkeit einen Bundespräsidenten zu wählen, und der Stoff weht schon wieder beim Schreib-Fenster herein. Vielleicht ist dieses Buch das letzte, weil er verspricht, noch ein paar zu schreiben.
Armin Thurnher ist als Chefredakteur des "Falter" eingekeilt zwischen dem öffentlich rechtlichen Medium und dem Boulevard, daher geschehen seine Ausführungen oft aus einem aufgeklärten Blickwinkel heraus, den man an manchen Tagen dem Land gar nicht mehr zugetraut hätte.
In einem Vorspann wird erklärt, dass für das Ausland Österreich immer so etwas wie ein Probelauf für "rechte" Entwicklungen ist, in Österreich kommen wegen der Überschaubarkeit der Gesellschaft Strategien zum Einsatz, die später auch in ganz Europa zum Zuge kommen.
Das Neue an diesem Rechtsdrall ist, dass er durch die Stichwahl um das Bundespräsidentenamt automatisch auf fünfzig Prozent angewachsen ist. Die Wahl verbockt haben in erster Linie die Großkoalitionäre, die ihre Kandidaten nach einem negativen Ranking ausgewählt haben. Außerdem steht erstmals das Amt wirklich zur Disposition, weil es nicht mehr schwarz-rot verbrämt über die Runden getragen wird, sondern bis an die Verfassungsgrenze ausgereizt werden wird. Eine kleine Replik auf das Wesen des Bundespräsidenten zeigt, wie das Amt bereits durch die Fassungen von 1920 und 1929 zu eiern begonnen hat.
In der Folge wird der Wahlkampf 2016 aus der Sicht eines Couch-Sitzers beschrieben, dem letztlich aus Fadesse die Chips ausgehen. Einsamer Höhepunkt einer Serie von skurrilen und kindischen Auseinandersetzung ist eine unmoderierte Sendung, worin die beiden Helden ohne Uhr sich selbst überlassen werden und hoffen, dass die Sendung bald aus ist.
Obwohl dieser Wahlkampf zutiefst österreichisch ist, lässt sich Österreich damit nicht darstellen. Feymans Leistung ist das Inserat gewesen, fasst der Autor die Epoche des abgetretenen Bundeskanzlers zusammen, um abschließend am Beispiel zweier Über-Österreicher die Seelenlage des Landes zu beschreiben. Manfred Deix und Heinz Fischer haben in ihrer aufreizenden Genauigkeit und überschwänglichen Betulichkeit zusammen die Österreichische Seele getroffen.
Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass das stille Österreichische der Vereine und des zivilen Ungehorsams nicht allzu sehr gefordert wird, wenn der Rechtsruck kommt. Die Österreicher sind andererseits blöd genug, um aus der Geschichte nichts zu lernen und wieder blau zu werden.
Und ein neues Buch wird es sicher wieder geben, fragt sich nur, mit welchen Seufzer versehen.
Helmuth Schönauer

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