Anprobieren eines Vaters : Geschichten und Erwägungen

Hackl, Erich, 2004
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Medienart Buch
ISBN 978-3-257-06384-4
Verfasser Hackl, Erich Wikipedia
Beteiligte Personen Niedermeier, Cornelia ¬ Wikipedia
Systematik DE - Erzählende Dichtung
Schlagworte Sozialismus, Biographie, Sozialkritik, Biografie
Verlag Diogenes
Ort Zürich
Jahr 2004
Umfang 303 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Erich Hackl
Annotation Leise Leben (Oder: Topographie des Eigensinns)/ Erich Hackl: Anprobieren eines Vaters Erinnertes Leben lebt. In seinem Buch "Die Erde ist ein gewalttätiges Paradies" erwähnt Ryszard Kapuscinski den Glauben mancher afrikanischer Stämme, demzufolge ein Mensch erst dann stirbt, wenn keiner sich mehr seiner erinnert. Das wahre Leben, so will es diese weise Auffassung, existiert im Anderen, in den die Begegnung ihre unvergessliche Spur gezeichnet hat. Der Zeitpunkt seines Verlöschens ist in keinen Grabstein einzumeißeln, er entzieht sich dem Streben nach Überprüfbarkeit. Seine Spuren leuchten so hell wie unsichtbar. Folgt man dieser Sicht, hat Erich Hackl schon so manches Leben gerettet. Leise Leben, deren Dasein keine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte. Etwa das jenes Mannes, den Hackl Willi Gubi nennt. Dass er darauf verzichtet, Gubis wahre Identität zu enthüllen, ist Teil der "Geschichte eines Versprechens", die der Lebensskizze ihren Titel gab. Geboren in der Wiener Leopoldstadt, aufgewachsen als Kind eines arbeitslosen jüdischen Schneiders in der Großen Mohrengasse, rettete sich Gubi durch das Stehlen von Brot vor dem Verhungern. 1938 nahm ein SA-Trupp den Jungen mit, gemeinsam mit anderen jüdischen Bewohnern der Leopoldstadt. Es folgen sechs Jahre in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. "Willi war dreizehn, als er auf Transport ging. Er war vierzehn, als er von Buchenwald nach Dachau überstellt wurde. Sechzehn und siebzehn in Birkenau, siebzehneinhalb in Auschwitz, achtzehn in Warschau und auf dem Todesmarsch von Warschau nach Dachau, neunzehn in Kaufering." Sein Vater, seine Schwester sterben in den Lagern. Seine Mutter wird vor seinen Augen erschossen, als sie den Sohn entdeckt und aus der Reihe tritt. In wenigen, nur einige Zeilen langen Abschnitten deutet Hackl das Martyrium dieser Jahre an. Dann das Versprechen, gegeben in Kaufering einer sterbenden Frau aus Frankreich: Sich um ihre Tochter Hélène zu kümmern, versteckt in einem Kloster in Frankreich. Das Versprechen wird Willi Gubis weiteres Leben bestimmen. Nach der Befreiung wird er nach Frankreich gehen, er wird das Kind zu sich nehmen, eine Frau heiraten, eine Französin, denn das Kind braucht eine Mutter. "Sie war zwei Jahre älter als er. Er machte ihr nichts vor. Das Kind muß eine Mutter haben. Sie sagte, wenn das dein Wunsch ist, ich bin einverstanden. Nein, antwortete er, es muß auch dein Wunsch sein. Ja, sagte sie, es ist mein Wunsch." Die Ehe, die mit Respekt beginnt, wird in Liebe fortgeführt werden und ein Leben lang halten. Die Familie nach Chile auswandern. Hélène, die in Chile Elena heißt, wird die Wahrheit nie erfahren. Sie soll die Vergangenheit nicht mitschleppen müssen. Auf nur knapp vierzig Seiten skizziert Erich Hackl das Leben des Mannes, den er Wilhelm Gubi nennt. Kurze Absätze verschränken Vergangenheit und Gegenwart, das Leben Willis und das Leben Elenas. Zwischen den nüchtern berichteten Fakten klaffen Lücken. Lücken, in denen Hackls respektvolle Behutsamkeit geschrieben steht. Die "Geschichte eines Versprechens", geschrieben 2003, ist der jüngste von 18 kürzeren, überwiegend bereits journalistisch publizierten Texten Erich Hackls aus den vergangenen sieben Jahren, die nun im Band "Anprobieren eines Vaters. Geschichten und Erwägungen" im Diogenes Verlag versammelt sind. Und einmal mehr wird in der dichten, eindringlichen Abfolge realer Lebensläufe, denen der Leser in diesem Buch begegnet, die moralische Redlichkeit Hackls ebenso deutlich wie sein literarisches Können. Letzteres scheint übrigens auch seiner Gabe des Zuhörens zu entspringen, beziehungsweise des genauen Hinhörens. Hackl, dem viele der Lebenswege, die er berichtet, mündlich erzählt werden, lauscht jedem einzelnen von ihnen seinen eigenen Rhythmus ab, seine Klangfarbe, seinen Grundton. Geradezu anmutig viele der Einstiege, der - musikalisch gesprochen - Auftakte zur Begegnung mit einem unbekannten Leben. Sie stimmen ein - etwa auf den Liebreiz der verehrten und zu Unrecht vergessenen Autoren-Kollegin Elisabeth Freundlich, die Hackl zuletzt in einem Pflegeheim in der Wiener Khevenhüllerstraße aufgesucht zu haben scheint: "Man könnte glauben, dies sei eine traurige Geschichte" hebt er an. "Die Geschichte einer alten Frau in einem Wiener Pflegeheim, die eines Tages anfängt, den Dingen andere Namen zu geben, so dass die Freunde sie nicht mehr verstehen und immer seltener besuchen, schließlich ganz wegbleiben." - um wenig später sich in Heiterkeit einzuschwingen: "Doch die alte Frau schwieg nicht, grüßte, hielt weiterhin große Reden, deren Sinn den Pflegerinnen verborgen blieb, vor Menschen, die nur in ihrer Vorstellung existierten. Sie sprach langsam, aber beständig, in ihrem melodischen Tonfall, in wohlgeformten, grammatikalisch korrekten Sätzen. (

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